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Autorin von Science Fiction und Fantasy

Wichtel mit großen Herzen

„Gehen wir morgen wieder zu den Menschen?“ Zeno rückte ganz dicht an die Baumwurzel heran, damit Rentan nicht nass wurde. Selbst Wichtel mochten das nasskalte Herbstwetter nicht.

„Weihnachten besuche ich die Menschen besonders gern, da gibt es soviel zu schauen.“ Rentan dachte an die vielen Lichter und die Lieder, aber besonders gut erinnerte er sich an die leckeren Mahlzeiten. Die Menschen besaßen so viel und bemerkten gar nicht, wenn die beiden da und dort etwas stibitzten. Doch bevor er seine Gedanken laut äußern konnte, hörte er Zeno schon schnarchen.

Am nächsten Nachmittag machten sie sich auf den Weg. Von ihren Bergen zur nächsten Stadt war es weit und ihre Beine waren nur kurz. Aber die Aussicht auf einen schönen Abend trieb sie weiter. Sie erreichten die Stadt, als die Menschen schon in ihren Häusern verschwunden waren. Wie Rentan erwartet hatte, war alles hell erleuchtet. Da die meisten Menschen die Gardinen nicht zugezogen hatten, konnten sie in die Wohnungen hineinschauen, Fast überall sahen sie strahlende Gesichter. Kinder, die begeistert mit ihren neuen Puppen und Eisenbahnen spielten. Erwachsene, die sich am Essen labten und sich in geselliger Runde unterhielten.

Die Wichtel gingen weiter, schauten in der Fußgängerzone in die Schaufenster und fanden bei den Buden des Weihnachtsmarktes noch gebrannte Mandeln und Lebkuchen. Daran taten sie sich gütig, bis die Bäuche schmerzten und sie sich kaum noch rühren konnten.

Schließlich machten sie sich auf den Heimweg. Hinter den großen Häusern stand eine kleine Holzbude. Eine einzelne Kerze erleuchtete sie. Sie flackerte bedenklich. Zeno und Rentan schlichen zum Fenster. Die Kerze war fast abgebrannt. Neben ihr saß ein alter Mann. Obwohl er in eine Decke gehüllt war und mit Zeitungen zugedeckt, zitterte er.

Zeno stieß Rentan an. „Da müssen wir etwas tun“, flüsterte er.

Ohne zu antworten drehte Rentan um. Ein paar Villen weiter, schlich er durch den Garten zur Hintertür. Zeno folgte ihm. Rentan nahm die Schneeschaufel, die unter der Treppe stand und hebelte damit die Tür auf. Einen Augenblick lauschte er, doch nichts rührte sich. Also schlichen die beiden in das Haus hinein. Im Keller fanden sie Konserven und einen Kuchen, die in einem Regal standen. Zeno entdeckte einen Weidenkorb, in dem er eine Flasche Wein, die Konserven und den Kuchen packte. Rentan stöberte in den Nachbarräumen herum und kam mit einem Schlafsack und einer Taschenlampe zurück, während Zeno einen kleinen Campingkocher in einem Schrank entdeckte. Und da alles zusammen für die beiden Wichtel viel zu schwer war, lieh sich Rentan den Bollerwagen aus dem Schuppen im Garten aus und packte alles hinein.

Gerade als sie den Garten verlassen wollten, tauchte ein junger Mann auf.

„Halt, stehenbleiben!“, schrie er.

Zenon wollte schon weglaufen, doch Rentan hielt ihn fest und drehte sich um. „Buhuh!“, rief er und schwang seinen Wanderstock. Zeno tat es ihm nach. Er fand in seiner Tasche noch etwas Glimmer aus dem Berg und schleuderte ihn durch die Luft. Glitzernd regnete er auf den Boden. Der Mann lief schreiend weg. Solche Wirkung hatte Zeno gar nicht erwartet.

Gelassen nahmen sie ihren Weg wieder auf und zogen den Bollerwagen an den Villen vorbei. Vor der Holzhütte bauten sie alles auf. Als oberstes kam ein kleines Weihnachtsbäumchen, dass Zeno aus einem Garten mitgenommen hatte. Den Leuten reichte doch der Baum im Wohnzimmer. Dann polterten sie an die Tür.

Versteckt hinter einem Schutthaufen beobachteten sie, wie der Alte die Tür öffnete.

„Der Weihnachtsmann war da!“, rief er aus. Dann sang er laut „O Tannenbaum“ und holte die Geschenke in seine Hütte.

„Siehst du, der kann sie viel besser gebrauchen als die aus der Villa“, meinte Zeno und mühte sich, mit Rentan Schritt zu halten. Als ehrliche Wichtel brachten sie den Bollerwagen zurück. Vorsichtshalber ließen sie ihn aber an der Gartenpforte stehen. Dann machten sie sich auf den beschwerlichen Heimweg. Ihre Herzen waren noch ganz erfüllt von der Freude, die sie dem alten Mann bereitet hatten.

©Aileen O‘Grian

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