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Autorin von Science Fiction und Fantasy

Leben in der ferngesteuerten Kabine

Ein Rumpeln und ein anschließender Schlag weckten mich auf. Die Kabine stand. Müde schaute ich auf die digitale Anzeige an der Wand gegenüber der Schlafkoje. 4.30 Uhr. Ich hatte also noch genügend Zeit, drehte mich um und schlief gleich wieder ein. Viertel vor sieben weckte mich die sanfte weibliche Computerstimme, die ich mir extra dafür ausgesucht hatte. Irgendetwas stimmte nicht, beunruhigte mich. Die Kabine. Mit einem Schlag war ich hellwach und sprang aus dem Bett. Die Kabine rührte sich nicht, schon seit Stunden. Ich zog ein Rollo hoch. Wir standen mitten auf der Autobahn. In der Ferne konnte ich noch Berge sehen. Ich lief zur Windschutzscheibe. Die Kabine vor mir stand auch, aus der Heckscheibe konnte ich erkennen, dass hinter mir eine große Frachtkabine stand. Neben mir, auf der rechten Spur befand sich eine riesige Fleischfabrikeinheit.

„Südlich von Göttingen“, sagte die Computerstimme.

„Wie komme ich zu meiner Krankenhauseinheit?“

„Gar nicht, sie befindet sich momentan nördlich von Hannover.“

Nervös kaute ich an meinen Fingernägeln. Hoffentlich wurde ich nicht entlassen. Warum hatte ich für das Wochenende den Ausflug zum Gardasee unternommen? Ich hätte hinter meinem Krankenhaus herfahren müssen. So wie in den letzten fünf Jahren. Italien war sowieso ein Reinfall gewesen. Ich war nur bis München gekommen. Für mehr hatte die Zeit nicht gereicht. Und das Umland von München ist genauso flach wie Norddeutschland.

„Was ist passiert?“

„Das Übliche, ein Selbstmörder hat sich vor die Textileinheit geworfen. Leider hat er dabei eine Bremse der Einheit blockiert. Es wird noch ein paar Stunden dauern, bis die Einheit wieder fahrbereit ist.“

Erst einmal frühstückte ich. Ob die Menschen weniger Stress hatten, als sie noch in Häusern wohnten und morgens mit ihren Einheiten zur Arbeit fuhren? Ich blickte auf die Berge. Weit und breit waren keine Gebäude mehr zu sehen. Nur in der Ferne konnte ich die Ruinen von Göttingen entdecken. Mir wurde langweilige. Ich beamte einen Plan der Einheiten, die sich in meiner Nähe befanden, an die Wand. Die nächste Kneipe war ziemlich weit weg, außerdem würde es mein Chef nicht mögen, wenn ich schon mit einer Fahne zur Arbeit käme.

Ein Spielcasino stand nur fünf Einheiten entfernt. Aber mein Konto sah gegen Ende des Monats ziemlich mager aus. Nein, da ging ich lieber zu den Freudenmädchen vier Einheiten hinter mir. Ich kämmte und parfümierte mich, dann verließ ich meine Kabine und betrat das Laufband neben der Fahrbahn.

©Aileen O’Grian

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